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“Das Beschriften von Waffen zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte”

PD Dr. Ulrike Ehmig | Foto: © IKGF Erlangen

Ulrike Ehmig studierte Klassische Archäologie, Lateinische Philologie und Alte Geschichte. Im Jahr 2000 wurde sie an der Universität Frankfurt mit einer Arbeit zur Geschichte und Kultur der Römischen Provinzen promoviert. Die Habilitation folgte 2009. Ulrike Ehmig ist Initiatorin zahlreicher Projekte im In- und Ausland, mit Schwerpunkten in der Wirtschaftsgeschichte, der lateinischen Epigraphik speziell unter kommunikationswissenschaftlichen und soziologischen Perspektiven, einer historischen Risikoforschung sowie der Wissen(schaft)sgeschichte. Seit Juni 2018 ist Ulrike Ehmig Arbeitsstellenleiterin des Corpus Inscriptionum Latinarum an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Im Jahr 2021 kamen im Archiv des Corpus Inscriptionum Latinarum Gipskopien und Stanniolabdrücke von 1000 römischen Schleuderbleien zutage, die Sie in den vergangenen Monaten genauer untersucht haben. Worum handelt es sich bei diesen Objekten genau? Wozu wurden sie verwendet?

Auffindung der Schleuderbleie im Archiv des CIL im Jahr 2021 | Foto: © Ulrike Ehmig

Schleuderbleie, lat. glandes plumbeae, wörtlich Bleieicheln, waren der fortschrittlichste und mobilste Typ antiker Schleudergeschosse. Wir kennen sie vom ausgehenden 5. Jh. v. Chr. bis in die Spätantike, wobei Schleuderbleie seit der frühen Kaiserzeit offenbar allmählich weniger eingesetzt wurden. Tausende Funde stammen von Schlachtfeldern des Hellenismus und der römischen Expansionszeit, also grob der letzten dreieinhalb Jahrhunderte v. Chr. Mit einem Gewicht von bis zu 150 g bei einer Länge von maximal 6 cm entwickelten die glandes ihre optimale Durchschlagskraft in einem Radius von 100 bis 150 m. Ihre Reichweite aber lag bei bis zu 300 m. Die Waffen und ihre Schützen sind sowohl aus antiken literarischen Schilderungen wie auch von Darstellungen auf der Trajans- und Marcussäule in Rom gut bekannt.

Auf die Objekte wurden Inschriftentexte angebracht. Welcher Art sind diese Botschaften und welche Wirkung sollten sie auf die Soldaten, die diese Waffen trugen, und deren Feinde haben?

Auf den glandes finden sich, zumeist in Form von Stempeln, also bei der Herstellung mitgegossen, verschiedene Informationen. Genannt werden u. a. Völker oder Gemeinwesen, Auftraggeber und Feldherren, Legionen, die Hersteller der Bleie und schließlich Akklamationen, unter diesen dann auch die Beschimpfungen und Schmähungen von Gegnern.

Beispiel für die Kopie eines römischen Schleuderbleis in Gips | Foto: © Richard von Bremen

Wie trägt diese Sammlung zu unserem Verständnis der antiken (psychologischen) Kriegsführung und antiken Kommunikationsstrategien bei?

Zunächst leisten die Schleuderbleie als mobil und schnell einsatzfähige Waffen einen Beitrag zu unserem Verständnis von antiker Kriegsführung. Schleuderer waren spezialisierte Kämpfer, die hohe Treffsicherheit gewährleisteten. Die Bleie selbst waren einfach herzustellen und ihr Transport war, anders als bei großen Belagerungsmaschinen, ohne großen Aufwand möglich.

Darüber hinaus sind die glandes mit ihren Stempeln ein Beispiel für antike Alltagsschriftlichkeit. Warum man was mit welchen Markierungen versah, ist immer im Einzelnen zu diskutieren. Das gilt insbesondere auch für die Bandbreite der Vermerke, die man auf den Schleuderbleien findet.

Im Zuge der Projektarbeit haben Sie die Sammlung digitalisiert und über die Open-Access-Archivdatenbank des CIL zugänglich zu gemacht. Welche Informationen und Meta-Daten stehen damit zur Verfügung?

Digitalisierung und Open-Access-Zugänglichkeit unserer Archivalien zu den Schleuderbleien ist Ziel des Projektes. Die fotografische Erfassung der glandes und die Vorbereitung ihrer finalen archivgerechten Ablage sind erfolgt. Um die Stücke über unsere Archivdatenbank anzeigen zu können, brauchen sie eine Identifizierung. Leider hatte man diese im 19. Jh. nicht gleich auf den Gipskopien selbst notiert. Dieser Arbeitsschritt beschäftigt uns jetzt. Er ist zeitaufwendiger und bereitet deshalb Mühe, weil die Stücke Serienprodukte sind, viele also gleich aussehen und die Inschriftentexte zudem oft nicht gut erkennbar oder gar lesbar sind. Wir haben die Arbeiten mit einer australischen Doktorandin gestartet, die derzeit ein Praktikum beim CIL absolviert. Nachwuchswissenschaftler lernen auf diese Weise die Handhabung der Editionen und haben hier die Chance, sich mit Material zu beschäftigen, das in der üblichen universitären Ausbildung um dem Mainstream der Forschung weniger häufig thematisiert wird. Wenn die Identifizierungen abgeschlossen und die Daten eingespielt sind, wird man über die Datenbank eine professionelle Fotodokumentation und die Referenzdaten aus der Edition für das CIL abrufen können, im Idealfall also damit etwas über die Provenienz der Originale erfahren und über das Verständnis der Stempel.

Im Februar 2024 haben Sie einen transdisziplinären Workshop über Waffen mit (sprachlichen) Zeichen apotropäischer Bedeutung veranstaltet. Der Workshop war Teil des BAK-Jahresthemas 2023/24 “[Mit] Konflikte[n] umgehen”. Unter den Referent:innen waren Altertumswissenschaftler:innen, Historiker:innen und Künstler. Wie kam es zu dieser Zusammensetzung und welche Erkenntnisse konnten daraus gezogen werden?

Einerseits wurde der Workshop in Berlin beworben, nicht zuletzt über die Homepage des BAK, andererseits habe ich z. B. Kontakt mit dem Portal Militärgeschichte aufgenommen und die Idee der Veranstaltung in meinem wissenschaftlichen Netzwerk und über social media gezielt verbreitet. Als besonders fruchtbar hat sich der Kontakt mit den Kollegen des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin erwiesen, der im Schneeballsystem dann auch zur Teilnahme der Illustratoren und Künstler führte. Die Interdisziplinarität des Workshops hat sich für die Thematik als optimale Perspektive dargestellt: Jede und jeder zeigte letztlich „sein“/„ihr“ Material, das die anderen mit den Augen anderer Disziplinen und wissenschaftlicher Hintergründe erfassten, das wir gemeinsam diskutierten und einordneten.

Wurde bei dem Workshop eine Inschrift vorgestellt, die sich Ihnen aufgrund der Anbringungsart, dem Anbringungsort oder dem Inhalt an sich besonders eingeprägt hat?

Nein, nicht „eine“ Inschrift! Es gab vielmehr bei jedem der Beiträge, die sich zeitlich zwischen den römischen Bürgerkriegen und dem Zweiten Weltkrieg bewegten, das Staunen über die Vielfalt und Originalität der Quellen, dann das Erkennen, dass das Beschriften von Waffen sich einerseits wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht, es gewisse Grundkonstanten gibt, und sich andererseits ganz spezifische Ausprägungen für Zeiten und Kulturen erkennen lassen.

Beispiel für die Abformung eines römischen Schleuderbleis in Stanniol | Foto: © Richard von Bremen

Eine der Fragen, die beim Workshop behandelt werden sollten, war die, ob Beschimpfungen immer zu einer Eskalation der Konfrontation führen oder ob sie als Ventil dienen können, um Konflikte zu entschärfen. Welche Erkenntnisse können Sie auf der Grundlage Ihrer bisherigen Forschungsergebnisse zu dieser Frage liefern?

Eine zentrale Frage der gesamten Beschäftigung mit dem Phänomen von Beschimpfungen auf Waffen ist, für wen diese dort eigentlich angebracht werden. Wer soll das lesen, für wen sind die Texte? Tatsächlich ist es völlig unrealistisch, dass sie für den eigentlichen Gegner konzipiert sind: Entweder das Schleuderblei trifft, dann kann der Gegner nicht mehr lesen, in keinem Fall aber wird man auf einem Schlachtfeld stehen, glandes aufsammeln und sich ansehen, was der Gegner gerade an Botschaften verschossen hat. Dasselbe gilt für Granaten und Bomben der Weltkriege. Die Aufschriften machen allein vor dem Einsatz der Waffen Sinn, können sich also nur an die eigenen Leute richten.

Die linguistisch-soziologische Forschung hat sich mit Intentionen von Beschimpfungen systematisch auseinandergesetzt, und sicher lassen sich hier verschiedene Erklärungen ins Feld führen, z. B. ein Sich-Abreagieren des Beschimpfenden, der zugleich damit sein Selbstgefühl steigern kann oder – gerade auch vor dem Hintergrund von Öffentlichkeit, heute schnellen Medien wichtig – die Absicht, den Gegner öffentlich zu verunglimpfen.

Was können wir Ihrer Meinung nach aus dem Studium der antiken Kriegsführung und Kommunikationsstrategien über heutige Konflikte und den Einsatz von Sprache als Waffe lernen?

Ich würde es etwas konkreter fassen und auf die (beleidigenden) Aufschriften auf Waffen konzentrieren: Die Altertumswissenschaften erörtern die Beobachtung der beschrifteten glandes in der Regel eng im Kontext der betreffenden antiken Auseinandersetzungen und fragen z. B. “Wer sind die Akteure?”, “Welche Legion war an welcher Schlacht beteiligt?”, “Wie war die Marschrichtung einer Truppenabteilung?”. Das sind für die jeweiligen Epochen wichtige Detailfragen. Hier aber interessierte uns eine größere Perspektive, die darauf zielt zu verstehen, wie Menschen in Konfliktsituationen interagieren. Es geht nicht darum zu sagen, in der Antike war das alles schon so wie heute, sondern vielmehr darum, Phänomene zu identifizieren, die gewisse Konstanten menschlichen Verhaltens illustrieren, sich je nach Zeit und Kontext aber natürlich in anderen Kleidern präsentieren. Für mich interessant ist es, solche Beobachtungen induktiv dann auch soziologisch und psychologisch erklären zu können. Die Beschäftigung mit der Antike wird für mich dann gegenwartsrelevant.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
teamredaktion (29. April 2024). “Das Beschriften von Waffen zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte” Berliner Antike-Blog. Abgerufen am 18. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/zen8


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