The Corporeality of Conflict: The Seven against Thebes in Imperial Roman Literature and Art
Anke Walter initiierte das Projekt “The Corporeality of Conflict: The Seven against Thebes in Imperial Roman Literature and Art”, das sie gemeinsam mit Burkhard Emme im Rahmen des BAK-Jahresthemas “[Mit] Konflikte[n] umgehen” realisiert. Im Interview teilen sie ihre Erkenntnisse und Perspektiven zu ihrem laufenden Projekt und geben Einblicke in die Bedeutung von literarischen und visuellen Darstellungen von Konflikten in der Antike. Ihre Arbeit verdeutlicht, wie sich interdisziplinäre Ansätze ergänzen und zu einem tieferen Verständnis antiker Kultur und Geschichte beitragen können.

Anke Walter | Foto: © Chris Coe
Anke Walter ist Senior Lecturer für Klassische Philologie an der Newcastle University. Sie wurde 2011 in Heidelberg mit einer Arbeit über das Erzählen im flavischen Epos promoviert. In ihrer Habilitationsarbeit aus dem Jahr 2018 setzte sie sich mit griechischen und römischen Ursprungsgeschichten auseinander sowie der Vorstellung von Zeit, die in ihnen zum Ausdruck kommen. In ihrer dritten Monographie, die 2025 erscheinen wird, untersucht sie die Darstellung von Feiertagen in der lateinischen Literatur. Derzeit arbeitet Anke Walter an einer deutschen Übersetzung von Statius’ Thebais. Anke Walter ist noch bis Ende Juli 2024 als Fellow am Berliner Antike-Kolleg zu Gast. Hier forscht sie zum Thema “The Corporeality of Conflict: The Seven against Thebes in Imperial Roman Literature and Art” forscht.

Burkhard Emme | Foto: Privat
Burkhard Emme promovierte 2010 über die Entwicklung und Funktionen öffentlicher griechischer Hofanlagen. Seit 2013 ist er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität Berlin tätig. In seinem Habilitationsprojekt widmete er sich “Narrativen Strategien und diskursiven Bezügen mythologischer Girlandensarkophage”. Daraus entwickelte sich ein weiterführendes Forschungssinteresse zu Bilderzählungen der römischen Kaiserzeit.
1. Für Ihr Forschungsprojekt “The Corporeality of Conflict: The Seven against Thebes in Imperial Roman Literature and Art” ziehen Sie den Mythos der Sieben gegen Theben als Fallstudie heran, um die Auswirkungen von Konflikten auf den menschlichen Körper zu untersuchen. Worum geht es in dem Mythos und warum bildet dieser die Grundlage für Ihre gemeinsame Arbeit?
Anke Walter: Im Mythos der Sieben gegen Theben geht es um die Zwillingssöhne des Oedipus, Eteokles und Polyneikes, die sich nach dem Abtreten und der Blendung ihres Vaters die Herrschaft über Theben aufteilen. Schnell kommt es jedoch zum Streit, und Polyneikes, der für ein Jahr nach Argos ins Exil gegangen war und nun die ihm zustehende Zeit auf dem Thron einfordert, zieht mit sechs argivischen Anführern in den Krieg gegen seinen Bruder und seine Heimatstadt. Es folgt ein blutiger Krieg, in dem die argivischen Anführer entweder fliehen oder ihr Leben verlieren und sich die Zwillingsbrüder am Ende gegenseitig töten. Die Stadt Theben und ihr Herrscherhaus galten in der Antike als Paradebeispiel für eine Stadt und eine Familie im (inneren) Konflikt, und insbesondere aufgrund der oft extremen Darstellung von Gewalt und Tod ist gerade dieser Mythos für unser Thema interessant. Zudem lässt sich in der römischen Kaiserzeit sowohl in Texten (besonders Statius‘ Epos Thebais vom Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr.) als auch in der Grabkunst mit einem Grabaltar und einem Sarkophagrelief ein Interesse an diesem Mythos erkennen, was uns dazu inspiriert hat, die Darstellung des Konflikts im Text und im Bild genauer zu vergleichen.
2. Sie untersuchen die sichtbaren und unsichtbaren Auswirkungen von Konflikten auf den menschlichen Körper in Literatur und Kunst. Welches Erkenntnisinteresse verbinden Sie mit der Untersuchung der sichtbaren und unsichtbaren Auswirkungen, Frau Walter, als Klassische Philologin und Sie, Herr Emme, als Klassischer Archäologe?
Anke Walter: Für die Klassische Philologie erhoffe ich, mehr darüber zu erfahren, wie sich ein Konflikt wie der um Theben mit all seinen politischen, religiösen und moralischen Konnotationen in den Körpern der beteiligten Personen ausdrückt, wie auch darüber, wie Körperlichkeit generell in einem antiken Text konstruiert wird, vor dem Hintergrund der literarischen Tradition, aber auch im Dialog mit Kunstwerken und bestimmten Bildtypen, mit denen man im kaiserzeitlichen Rom gut vertraut war.
Burkhard Emme: Für die Bildwissenschaft bietet die visuelle Darstellung von Konflikten einerseits eine große methodologische Herausforderung: Körper werden im Konfliktfall zum Instrument der Auseinandersetzung. Wie und in welcher Weise aber gelingt es dem Künstler, die Ursache eines Konflikts und die Motivationslage der Beteiligten ins Bild zu setzen? Andererseits macht die Analyse der Bilder nachvollziehbar, wie Konflikte in vergangenen Gesellschaften erlebt und verstanden wurden. Dass dabei im Bild oft der menschliche Körper im Zentrum steht, verweist nicht zuletzt darauf, dass die Auswirkungen bestimmter Konflikte auf den Einzelnen oftmals als sehr unmittelbar begriffen wurden.
3. Wie lassen sich gerade die unsichtbaren Auswirkungen in Text und vor allem im Bild fassen?
Anke Walter: Für Texte ist es natürlich deutlich einfacher, die unsichtbare Seite von Konflikten explizit zu benennen oder implizit anzudeuten – wie sie etwa durch Hass oder Eifersucht entstehen, aber auch, wie sich selbst in dem Moment, in dem ein Konflikt zum Ende kommt, weiteres Konfliktpotential anbahnt in einer Spirale aus Gewalt, die kennzeichnend für Theben ist. Gefühle und Emotionen können im Text direkt benannt, aber auch durch Vergleiche illustriert oder sogar durch Personifikationen veranschaulicht werden. Sie zeigen sich aber auch an Details der äußeren Beschreibung von Figuren, etwa an ihrem Blick oder der Körperhaltung, was wiederum auch im Bild sichtbar gemacht werden kann.
Burkhard Emme: Die kaiserzeitlichen Bilder veranschaulichen die mittelbaren Auswirkungen von Konflikten oft durch zusätzliche Figuren, die die eigentliche Auseinandersetzung miterleben. Wenn Eteokles und Polyneikes sich im Kampf um die Herrschaft gegenseitig töten, dann sehen ihnen ihre Eltern voller Horror dabei zu. Solche Betrachterfiguren illustrieren die Auswirkungen von Konflikten über die Beteiligten hinaus. Der gegenseitige Brudermord löscht nicht nur zwei Leben aus, er zerstört eine ganze Familie.
4. Inwieweit zeigen sich die Darstellungen von Konfliktsituationen in Literatur und Kunst der römischen Kaiserzeit voneinander beeinflusst? Inwieweit geben sie eventuell sogar Aufschluss über den kulturellen und politischen Kontext ihrer Entstehung?
Anke Walter: In unserer interdisziplinären Arbeit haben wir durchaus Beziehungen zwischen Text und Bild feststellen können. So bringt etwa ein Sarkophagrelief aus der Zeit um 200 n. Chr. zentrale Aspekte des Konflikts um Theben, wie er u.a. in Statius’ Thebais beschrieben wird, sehr pointiert durch die Darstellung der Körper zum Ausdruck, etwa wenn ein Argiver namens Capaneus wie ein Gigant zum Kampf gegen die Götter auf einer Leiter nach oben klettert und dabei drei Sprossen auf einmal nimmt, in einer Szene, die enge Entsprechungen mit dem epischen Text aufweist. Bei der Frage nach den kulturellen und politischen Kontexten muss man beachten, dass ein epischer Text und ein Sarkophag, der im privaten, nicht im öffentlichen Raum zu sehen war, ein sehr unterschiedliches Publikum ansprechen und der epische Text eher auf eine politische Aussage, der Sarkophag eher auf die private, familiäre Dimension des Mythos abzielt. Gemeinsam ist beiden aber in jedem Fall eine eindrucksvolle Beschäftigung mit Konflikten, die sich nach innen richten, auf das eigene Gemeinwesen bzw. die eigene Familie, und ihren Folgen.
5. Welche neuen Einsichten oder Erkenntnisse haben sich bisher für Sie durch die interdisziplinäre Arbeit ergeben?
Anke Walter: Aus den recht unterschiedlichen Perspektiven von Klassischer Philologie und Archäologie auf dieselben Materialien zu gucken, ist eine ungeheuer gewinnbringende Erfahrung. Für mich als Klassische Philologin hat sie noch einmal den Blick geschärft für die Bildlichkeit des Textes und seine visuelle Dimension. Es ist aber auch eine sehr gute Erinnerung daran, dass ein Mythos wie der von Theben nicht nur eine komplexe literarische Dimension hat, sondern auch sehr real in einem Moment präsent sein kann, in dem eine Familie vor einem Grabmonument steht und Abschied nimmt von einem Angehörigen, in einem Fall sogar von einem kleinen Kind.
Burkhard Emme: Es gibt in der bildwissenschaftlichen Archäologie seit einigen Jahren die Tendenz, die Bilder für sich selbst sprechen zu lassen. Umso mehr bin ich daher immer wieder überrascht, wie viele Aspekte der mythologischen Figuren bereits in den Texten angelegt sind. Das bedeutet nicht, dass die Bilder die Texte lediglich illustrieren. Aber die Motivationslage und der Charakter einer bestimmten Figur, all das, was in den Bildern nicht unmittelbar ausgedrückt werden kann, das lässt sich oft durch einen Blick in die Texte verständlich machen. Man versteht oft viel besser, warum ein bestimmter Mythos in einem spezifischen Kontext im Bild dargestellt wurde, wenn man sein Assoziationspotential anhand der Schriftquellen umreißt.
6. Wie können Ihre bisherigen Ergebnisse zu unserem breiteren Verständnis der antiken Literatur, Kunst und der menschlichen Konflikterfahrung beitragen?
Anke Walter: Unser Projekt zeigt deutlich, dass die Darstellung von Gewalt und Konflikt, sei es im Text oder im Bild, immer im Kontext gewisser Traditionen und Konventionen erfolgt, die selbst singulären und traumatischen Erfahrungen eine gewisse Wiedererkennbarkeit und Vertrautheit verleihen, auch wenn sich diese Traditionen ständig verändern und weiterentwickeln. Die Wiedererkennbarkeit von Bildschemata in der Darstellung von Krieg und Gewalt begegnet uns auch heute auf Schritt und Tritt – wobei uns die antike Welt auch lehrt, aufmerksam zu sein für die ästhetischen und vor allem auch politischen Implikationen, die dahinterstehen können.
Burkhard Emme: Auf den kaiserzeitlichen Sarkophagen wird Konflikt stets als eine existenzielle Bedrohung verstanden. Der Mythos von Theben ist dabei nur ein extremes Beispiel. Auf anderen Sarkophagen finden wir Kindsmörderinnen, Muttermörder, junge Männer, die ihre Onkel erschlagen … häufig geht es um die maximale Eskalation, um den gewaltsamen Tod von Einzelnen und das Zerbrechen von Familienstrukturen. Für die antike Gesellschaft, in der es keine nennenswerten sozialen Sicherungssysteme oder staatliche Fürsorge gab, war die Bedrohung durch Konflikte oft sehr konkret und bedrohlich. Ihre Thematisierung in den Mythen und Mythenbildern zeugt daher nicht zuletzt von dem Wunsch, es im wirklichen Leben besser zu machen.
7. Sie werden im Juli den Workshop “The Body in Conflict in the Roman Imperial Period” zu Ihrem Forschungsthema im Rahmen des BAK-Jahresthemas 2023/24 “Mit Konflikten umgehen” veranstalten. Was erhoffen Sie sich von der Diskussion mit den Kolleg:innen?
Anke Walter: Wir freuen uns sehr, dass es uns das BAK ermöglicht, einen größeren Kreis von Kolleg:innen in unsere interdisziplinären Gespräche einzubeziehen. Der Workshop wird unseren Blick u.a. für Texte und Bilder weiten, die wir bisher nicht in den Blick genommen haben – etwa bestimmte Arten von Kämpfenden, wie Amazonen, oder auch frühchristliche Texte, in denen sich ein neues religiöses Verständnis der Körperlichkeit von Konflikt andeutet. Besonders freuen wir uns auf die neuen Fragen, die unsere Diskussionen hoffentlich aufwerfen werden und die vielleicht auch weitere interdisziplinäre Arbeiten anstoßen werden.
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
teamredaktion (16. Juli 2024). The Corporeality of Conflict: The Seven against Thebes in Imperial Roman Literature and Art. Berliner Antike-Blog. Abgerufen am 19. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/120v9