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Bildwissenschaft – quo vadis? Ein BerGSAS Round Table zur bildwissenschaftlichen Theorie und Methode

Von Claudia Mausolf und Marco Weppelmann

Bildwissenschaft – quo vadis? Dieser Frage liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Bildwissenschaft in Bewegung befindet. Dabei ist jedoch nicht von einem finalen Ziel dieser Bewegung auszugehen. Vielmehr ist es wichtig, darüber nachzudenken, welche Wege die Bildwissenschaft aktuell beschreitet. Ebenso gilt es, nach der Motivation dieser Bewegung zu fragen: Warum bewegt sich die Bildwissenschaft? Oder: Warum sollte sie sich bewegen?

Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, ein Diskussionsforum für den bildwissenschaftlichen Nachwuchs in der Klassischen Archäologie zu bilden, um theoretische und methodische Fragestellungen zu verhandeln. Dazu haben wir den Round Table „Bildwissenschaft – quo vadis?“ organisiert, der am 06. und 07. Juni 2024 in den Räumlichkeiten der Neuberg-Villa in Berlin-Dahlem stattfand. Die Vortragenden waren Promovierende mit bildwissenschaftlichem Forschungsschwerpunkt der Institute für Klassische Archäologie an den Universitäten Berlin (FU und HU), Frankfurt am Main, Freiburg und München.

Gruppenfoto (v.l.n.r., obere Reihe: Sarah Al Jarad, Thomas Schmidt, Ernst-Andreas Neumann, Jonathan Ritter, Marco Weppelmann; v.l.n.r., untere Reihe: Alexandra Holler, Marie Künzelmann, Claudia Mausolf, Anna-Laura Honikel, Lito Kyriakidou | Foto: Regina Attula

Der Ausgangsfrage „quo vadis?“ begegneten wir, indem wir gemeinsam die möglichen Wege ausleuchteten. Die erste Grundlage dafür bildeten die methodenzentrierten Vorträge über das jeweils eigene Promotionsprojekt. Diese Vorträge deckten sowohl in Bezug auf Gattungen als auch auf Chronologie einen großen Bereich der bildwissenschaftlichen Forschung ab: Es ging um die Analyse- und Deutungsmöglichkeiten von attischen Vasenbildern (Weppelmann) und Terrakottafigurinen der Klassischen Zeit (Neumann), um hellenistische Grabreliefs (Schmidt), um spätrepublikanisch-kaiserzeitliche Rundplastik (Mausolf) und um kaiserzeitliche Flächenkunst in Form von Reliefdarstellungen (Al Jarad), Wandmalereien (Holler) und Mosaiken (Honikel). Zusätzlich wurden Zeitphänomene antiker Bildwerke von der Klassik bis zur Kaiserzeit diskutiert (Künzelmann).

Im zweiten Teil der Veranstaltung folgte ein Theoriegespräch auf Basis von zwei jüngeren bildtheoretischen Texten (Günther 2021; Stähli 2022). Beide verhandeln grundlegende Fragestellungen zu den Deutungsmöglichkeiten antiker Bildwerke und fokussieren den interaktiven Bezug zwischen Menschen und Bildern. Damit bieten sie jeweils neue theoretische Analysemodelle.

Elisabeth Günther erarbeitet mit der Unterscheidung zwischen Mehrdeutigkeit im engen und weiten Sinn ein Vokabular, mit Hilfe dessen mehrere nebeneinander existierende Bedeutungsebenen antiker Bildwerke beschreibbar werden (vgl. Günther 2021, 5–9). Um diese zu analysieren, entwickelt sie ein Konzept, das einerseits auf der Affordanz- und andererseits auf der frame-Theorie basiert (vgl. Günther 2021, 16–23). Mit Affordanzen sind die Handlungs- und Deutungsangebote gemeint, die den Objekten inhärent sind. Frames bezeichnen die Wissens- und Erfahrungswerte, die bei der Bildrezeption hervortreten und von denen die Bilddeutung abhängig ist. In der Konsequenz lassen sich antiken Bildwerken keine vereinheitlichten und statischen Bedeutungen zuschreiben. Stattdessen sind sie in Abhängigkeit der genannten Parameter dynamisch und verschiedenartig ausdeutbar.

Das von Adrian Stähli vorgeschlagene Analysemodell antiker Bildwerke kombiniert einen semiotisch-hermeneutischen Ansatz mit zwei weiteren Konzepten: einer praxeologischen Ästhetik und der Parapiktorialität (vgl. Stähli 2022, 423. 437). Der Neologismus Parapiktorialität bezieht sich auf die Rahmenbedingungen, die die ästhetische Praxis und die Wahrnehmung antiker Bildwerke bedingen und beeinflussen. Antike Bildwerke sind demnach nicht als autonome Entitäten zu beschreiben. Erst die Berücksichtigung des praxeologischen, kontextuellen und diskursiven Rahmens macht sie verständlich.

Beide Modelle heben hervor, dass antike Bildwerke nicht durch vereinheitlichte und statische Bedeutungen charakterisiert werden können. Stattdessen sind sie dynamisch und vielschichtig interpretierbar. Der Gruppenaustausch bot die Gelegenheit, diese neuen Konzepte in ihrer Genese und auf ihre Anwendung hin kritisch zu hinterfragen und dabei besonders Perspektiven junger Bildwissenschaftler*innen einzubeziehen. Die lebhafte Diskussion des Theoriegesprächs beleuchtete Fragen nach dem Nutzen jener Konzepte, und zwar sowohl für die eigene Forschung als auch für die Anwendbarkeit auf breiterer Ebene: Was sollen theoretische Konzepte leisten? Wie sind solche Konzepte und Begriffe (neu) zu bewerten? Weisen die in den Texten dargelegten Ideen einen Innovationswert auf, und wenn ja, welchen?

Am Beispiel der Parapiktorialität entfaltete sich eine kritische Diskussion über den Nutzen des Begriffs für die Bildanalyse und für das Verstehen von Phänomenen der Bildwahrnehmung. Im Laufe des Gesprächs zeigte sich, dass der Begriff der Parapiktorialität eine spezifische Perspektive ermöglicht. Diese betont neben der kontextuellen Ebene auch diskursive und praxeologische Aspekte und betrachtet ausdrücklich den menschlichen Körper im interaktiven Umgang mit Bildobjekten. Antike Bildwerke lassen sich somit in dynamische Zusammenhänge verorten; zugleich können ihre Funktionen als soziale und praxeologische Artefakte differenziert untersucht werden.

Gruppenführung durch die Sonderausstellung „Göttinnen und Gattinnen – Frauen im antiken Mythos“ im Alten Museum | Foto: Marco Weppelmann

Den dritten Teil des Round Tables bildete der Besuch der Sonderausstellung „Göttinnen und Gattinnen. Frauen im antiken Mythos“ im Alten Museum (Klünker 2024). In der von Dr. Martin Maischberger geleiteten Führung stand das Ausstellungskonzept und die damit verbundene Neu- bzw.- Wiederinterpretation weiblicher Figuren im antiken Mythos im Fokus. Die Teilnehmenden kamen in kritischen Austausch über antike, aber auch moderne Konzepte weiblicher Rollenbilder und deren bildliche Darstellung.

Mit Blick auf die Ausgangsfragen, warum sich die Bildwissenschaft in Bewegung befindet bzw. warum sie sich bewegen sollte, konnten viele anregende Impulse gesetzt werden. Auf Basis der einzelnen Vorträge, des Theoriegesprächs und des Museumsbesuchs ließen sich methodische Zugänge evaluieren und deren Anwendbarkeit an unterschiedlichen Objektgattungen erproben. Festzuhalten ist, dass dadurch neue Wege der Interpretation entstehen. Demnach befindet sich die Bildwissenschaft in Bewegung. Es werden neue theoretische Ansätze ausgewählt, die bisherige Lesarten um alternative Vorschläge erweitern. So lässt sich die zweite Frage, ob sich die Bildwissenschaft bewegen sollte, selbstverständlich bejahen, denn neue Perspektiven erweitern unsere Kenntnisse antiker Gesellschaften.

Wenngleich sich nicht alle eingangs formulierten Fragen abschließend beantworten ließen, zeigte sich: Der konstruktive Austausch über Theorie und Methode ist sinnvoll, um den Blick auf archäologische Artefakte zu schärfen und neue Perspektiven zu schaffen. Dafür bot der Round Table ein erstes Diskussionsforum an. Auf den Wunsch hin, weitere solcher Veranstaltungen durchzuführen, hat sich eine Arbeitsgemeinschaft gebildet, die sich in regelmäßigen Abständen zusammenfinden wird. Weitere Informationen dazu finden sich auf der Website der Gerda-Henkel-Stiftung in der Rubrik “Idee Archäologie“.

Literatur:

Günther 2021

E. Günther, Mehrdeutigkeiten antiker Bilder als Deutungspotenzial. Zu den Interdependenzen von Affordanzen und frames im Rezeptionsprozess, in: E. Günther – J. Fabricius (Hrsg.), Mehrdeutigkeiten: Rahmentheorien und Affordanzkonzepte in der archäologischen Bildwissenschaft, Philippika 147 (Wiesbaden 2021) 1–40

Klünker 2024

A. Klünker (Hrsg.), Göttinnen und Gattinnen. Frauen im antiken Mythos (Berlin 2024)

Stähli 2022

A. Stähli, Parapiktorialität. Rahmenbedingungen einer praxeologischen Ästhetik in der Antike, in: A. Gerok-Reiter – J. Robert – M. Bauer – A. Pawlak (Hrsg.), Andere Ästhetik: Grundlagen – Fragen – Perspektiven, Andere Ästhetik – Koordinaten 1 (Berlin  2022) 393–443

Kontakt:

claudia.mausolf@berliner-antike-kolleg.org

marco.weppelmann@berliner-antike-kolleg.org


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
teamredaktion (2. August 2024). Bildwissenschaft – quo vadis? Ein BerGSAS Round Table zur bildwissenschaftlichen Theorie und Methode. Berliner Antike-Blog. Abgerufen am 19. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/124o1


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